Kriegsbilder zum Geburtstag: Valery Faminsky Berlin V.1945

Kriegsbilder zum Geburtstag: Valery Faminsky Berlin V.1945

 

„Berlin. May 1945” / Foto: © Valery Faminsky, Privatsammlung: Arthur Bondar

Valery Faminsky sitzt spielend am Klavier. Mitten auf den Straßen vom zerstörten, aber befreiten Berlin 1945. Als Fotograf der roten Armee machte er in den Tagen der Kapitulation rund um den 8. Mai viele Bilder, darunter auch private Aufnahmen. Vom Reichstag und ganzen Straßenzügen, die in Trümmern liegen. Geboren ist der russischen Kriegsfotograf am 15. Mai, vor 104 Jahren. Und genau an seinem Geburtstag erfahre ich mehr über die Geschichte der wiederentdeckten Kriegsbilder. Zu sehen sind sie in der Fotobuchhandlung „Bildband Berlin“. Noch bis zum 12. Juli 2018. Der Eintritt ist frei. 


Eine Buchhandlung, keine Galerie denke ich beim Betreten. Ich hatte nur von einer Ausstellung mit Bildern aus dem Zweiten Weltkrieg gelesen. Zahlreiche Fotobände stehen hier in den Regalen. Inmitten der bunten Buchrücken hängen sie, die fast verlorenen Schätze von Valery Faminsky. Erstmals werden die Bilder nun in Berlin gezeigt. In eben jener Stadt, wo der Militärfotograf vor genau 73 Jahren auf den Auslöser drückte. Valery Faminsky konnte sich mit seiner Kiev Kamera im zerstörten Berlin relativ frei bewegen. Er dokumentierte die Versorgung und den Transport verwundeter Soldaten. Soweit der Auftrag. Doch seine Bilder zeigen nicht nur das verletzte russische Militär. Sondern auch die Verletzungen der Berliner Bevölkerung, die Verletzungen einer ganzen Stadt und wie das Leben nach der Kapitulation aussah. Genau das unterscheidet seine Bilder von den vielen Fototografien der ersten Nachkriegswochen. Anders als bei offiziellen Aufnahmen – oft gestellt und für Propagandazwecke gemacht – schaut Faminsky genau hin. Und blickt zu den Menschen auf beiden Seiten des Krieges.

In einer Zeit, wo es immer weniger Zeitzeugen gibt, sind es Fotografien wie diese, die bleiben und erinnern. An eine Epoche im zerstörten Berlin, in der an manchen Plätzen kein Stein mehr auf dem anderen lag.

„Berlin. May 1945” / Foto: © Valery Faminsky, Privatsammlung: Arthur Bondar
„Berlin. May 1945” / Foto: © Valery Faminsky, Privatsammlung: Arthur Bondar

ZEUGNISSE DER STUNDE NULL

Ich betrachte jedes einzelne der 22 ausgestellten Bilder. Zuerst wie das Kriegsende von einem Soldaten der Roten Armee in den Straßen Berlins verkündet wird. Am 7. Mai wurde die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht unterzeichnet. Einen Tag später trat sie in Kraft und wurde lautstark bekanntgegeben.

Gleich daneben hängt ein Bild, was die Verteilung der Flugblätter an die Zivilbevölkerung zeigt. Die offizielle Kapitulation, gedruckt Schwarz auf Weiß. Lachende Kinder, die begeistert danach greifen. Verhaltener stehen dagegen die Erwachsenen am Rand. Sicher schwingt Angst vor „den Russen“ bei ihnen mit. Mittendrin in der Menge aber steht ein junger Mann. Er sticht heraus: verschmitztes Lächeln, akkurater Scheitel, gut aussehend. Das Bild beeindruckt, nicht nur mich sondern auch Joe Dilworth. Er ist der Geschäftsführer von Bildband Berlin.

„Berlin. May 1945” / Foto: © Valery Faminsky, Privatsammlung: Arthur Bondar
„Berlin. May 1945” / Foto: © Valery Faminsky, Privatsammlung: Arthur Bondar 

JOE DILWORTH

„Die Bilder sind irgendwie herzlich. Sie zeigen nicht das Image, das wir von der Eroberung der Roten Armee in Berlin haben. Und es sind eben nicht nur Schnappschüsse von irgendeinem Soldaten. Valery Faminsky war ein richtiger Fotograf. Er hat Berlin fotografiert in den Monaten, wo kaum jemand die Erlaubnis dazu hatte. Die Bilder damals mussten ja alle durch die Zensur, selbst nach dem Krieg.“ Joe Dilworth

Gebürtig kommt Joe Dilworth aus London. Seit zehn Jahren aber wohnt er in der deutschen Hauptstadt und betreibt zusammen mit Thomas Gust die Fotobuchhandlung Bildband Berlin im Prenzlauer Berg. Was ihn nach Berlin gezogen hat will ich wissen. Es ist ein bisschen wie London vor zwanzig Jahren, meint Joe. Er kennt die Stadt – Ost und West – von früheren Besuchen. Seine Liebe zu Berlin begann früh, in den 80ziger Jahren. Und nun ist er hier. Seine neue Heimat ist oft auch Fotomotiv, denn er ist Fotograf. Privat bereist und fotografiert er seit Jahren Osteuropa und arbeitet aktuell an einem Fotobuch. Neben Orten in Ungarn, Rumänien und der ehemaligen Tschechoslowakei, darf dabei Berlin natürlich nicht fehlen.

Joe Dilworth, Bildband Berlin

Mit den Menschen, die sich die Ausstellung anschauen, kommt er eigentlich immer ins Gespräch. Eine Frau, die ihr Wohnhaus auf einem der Fotos wiedererkannte, erzählte ihm wie sie in den Luftschutzraum flüchtete und es nach dem Angriff kein Zurück mehr in das zerstörte Haus gab. Was sie nun hier wieder an der Wand hängen sieht.

Joe fragt mich, welches Motiv mir am besten gefällt. Ich habe zwei. Ein Panzer steht geparkt zwischen zwei Häusern mitten im Vorgarten. Und Soldaten der Roten Armee sitzen – keine drei Meter daneben – um einen Tisch. Die Szene wirkt irgendwie unwirklich. Das weiße Tischtuch gibt den Blick frei auf eins der Tischbeine. Das mir bekannt vorkommt. Ein ähnlicher Tisch stand früher – keine 15 Minuten entfernt von hier – in unserer alten Ausbauwohnung. Noch heute sitzen wir um das antike Stück, wenn die Familie zusammen kommt. Ich muss meinen Papa unbedingt fragen, woher der Esstisch eigentlich stammt.

 

„Berlin. May 1945” / Foto: © Valery Faminsky, Privatsammlung: Arthur Bondar

Doch zurück zu den Bildern. Ein weiteres Foto – wieder mit Panzer –  fasziniert mich. Vor dem Ungetüm sitzt ein Paar, ganz dicht beieinander. Ein wirklich merkwürdiger Ort für ein Date, denke ich.

„Berlin. May 1945” / Foto: © Valery Faminsky, Privatsammlung: Arthur Bondar

Joe lenkt meinen Blick auf einen verwundeten Rotarmisten, der von einem Hundewagen gezogen wird.

„Die Rote Armee war nicht so gut ausgerüstet. Deswegen auch die vielen Kopfverletzungen, weil die Soldaten keinen Stahlhelm hatten. Teilweise noch nicht einmal ein Pferd.“  Joe Dilworth

„Berlin. May 1945” / Foto: © Valery Faminsky, Privatsammlung: Arthur Bondar
„Berlin. May 1945” / Foto: © Valery Faminsky, Privatsammlung: Arthur Bondar
„Berlin. May 1945” / Foto: © Valery Faminsky, Privatsammlung: Arthur Bondar
„Berlin. May 1945” / Foto: © Valery Faminsky, Privatsammlung: Arthur Bondar

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Valery Faminsky zeigt den Alltag der verwundeten russischen Soldaten. Die sogar mit Hundewagen transportiert wurden. Seine Fotos aber zeigen auch das Ausmaß der Zerstörung. Von ganzen Straßenzügen, die nicht mehr existieren, Trümmerfrauen bei der Arbeit und Menschen unterwegs mit ihrem Hab und Gut, mitten in den Trümmern von Berlin… Eben beide Seiten vom Krieg. Besiegte und Sieger. Verwundete Zivilbevölkerung und verwundete Soldaten.

DIE WIEDERENTDECKUNG

Hier an den Wänden hängt ein Stück Zeitgeschichte. Beeindruckende Aufnahmen, die fast verloren gegangen wären. Anfang August 1945 kehrt Faminsky zurück nach Moskau. Seine privaten und inoffiziellen Aufnahmen aus Berlin werden weder abgedruckt, noch irgendwo ausgestellt. 1993 stirbt er. Und seine Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg geraten in Vergessenheit. Bis Arthur Bondar – ein renomierter Moskauer Fotograf – sie im Internet wiederentdeckt, wo sie von der Familie zum Verkauf angeboten werden. Russische Museen waren auch interessiert, wollten aber kein Geld zahlen. Und so kaufte Bondar vor zwei Jahren das gesamte Archiv Faminsky’s mit Bildern von 1943   – 1945: Negative und Kontaktabzüge, ordentlich versehen mit Bildunterschriften. In Moskau zeigte er der Öffentlichkeit erstmals eine Auswahl. Und jetzt sind sie auch hier in Berlin zu sehen.

BILDBAND BERLIN – FOTOBUCHHANDLUNG IM PRENZLAUER BERG

Jeden Monat übrigens wechselt die Fotoausstellung in der Immanuelkirchstrasse. Zusammen mit einer neuen Buchvorstellung. Doch die Bilder von Faminsky sind so besonders, ihre Geschichte so außergewöhnlich, schwärmt Joe, dass sie noch bis zum 12. Juli gezeigt werden. Der von Arthur Bondar veröffentliche Bildband „Valery Faminsky – Berlin V. 1945“ ist bereits vergriffen. Zu groß war der Ansturm bei der Vernissage letzten Freitag.

  

Und so frage ich Joe Dilworth welches andere Fotobuch er mir denn über Berlin empfehlen kann. Gezielt greift er ins Regal. „Berlin Nordost 1972-1990: Am Rande der stehenden Zeit“ von Manfred Paul. Ein kleiner Zeitsprung. Inmitten der Kriegsbilder von Valery Faminsky, die überall an den Wänden hängen, zeigt sich mir erneut morbider Charme. Marode Straßenzüge und Hinterhöfe im Bezirk Prenzlauer Berg. Beeindruckend intensiv, mit einer ganz eigenen Stimmung. Ich erkenne Plätze und Straßen und vergleiche sie natürlich sofort mit heute. Der Wandel von Berlin und seine Geschichte wird mir einmal mehr bewusst. Viele Bilder aber zeigen – Jahrzehnte nach Kriegsende – noch immer ein zerstörtes Berlin. Der Wiederaufbau verlief tatsächlich unterschiedlich in der später geteilten Stadt. Mit Marshallplan, Wirtschaftswunder und Demokratie auf der einen Seite. Kommunistische Diktatur auf der anderen.

Ich stöbere noch in ein paar anderen Bildbänden. Sie zeigen das laute, schrille Ost-Berlin von damals. Und eine inzwischen verschwundene Stadt. Lange betrachte ich eine Fotografie mit Trabis, die im Sonnenschein regelrecht zu glänzen scheinen. Dicht an dicht stehen sie auf dem Parkplatz vor dem Palast der Republik. Auch der inzwischen verschwunden.

Nicht so aber die unzähligen Schätze, die hier im Bildband Berlin liegen. Wer also besondere Fotografien und Fotobücher sucht, findet sie hier. Natürlich nicht nur über Berlin. Es gibt Klassiker und seltene Exemplare aus der ganzen Welt, teilweise handsigniert. Wirklich ein kleines Juwel, dieser Ort und diese besondere Fotobuchhandlung.


Bildband Berlin I Immanuelkirchstraße 33, 10405 Berlin I www.bildbandberlin.com  

Ausstellung „Berlin Mai 1945“ mit Fotos von Valery Faminsky I 12. Mai – 12. Juli 2018

Der fotografische Blick zurück in eine längst vergangene Zeit zieht mich danach in meine eigene Vergangenheit. Die Greifenhagenerstraße ist nicht weit entfernt. Wie unsere alte Ausbauwohnung im Erdgeschoss heute wohl aussieht? Der sinnflutartige Regen aber macht mir einen Strich durch mein Vorhaben. Und am Ende lande ich in der  Wohnzimmer-Bar am Helmholtzplatz. Ein Blick auf das gemütliche Mobilar genügt, irgendwie ein passendes Ende vom Tag. Und erneut eine kleine Zeitreise. Mit DDR-Charme und einem charmanten Barkeeper, der auch individuelle Cocktailwünsche erfüllt. Und die lassen sich bei toller Musik genießen.

Wohnzimmerbar I Lettestraße 6, 10437 Berlin I www.wohnzimmer-bar.de

Apropos Musik. Joe Dilworth vom Bildband Berlin ist nicht nur Fotograf und Galerist, auch Musiker. Am Sonntag, den 20. Mai 2018 spielt er mit seiner Band „Cavern of Anti-Matter“ in der Volksbühne. Und so schließt sich der Kreis. Zu Valery Faminsky, der nicht nur Fotograf, sondern ebenfalls Musiker war. Ein Mann mit vielen Talenten, der trotz seines Sehfehlers als Frontfotograf der Roten Armee arbeiten durfte. Glücklicherweise, denn sonst könnten wir heute keinen Blick auf seine einzigartigen und sehr persönlichen Fotografien werfen.

 

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